Warum das Bundesministerium für Heimat nur für Einhörner oder Seehofers sprechen kann und nicht in Anspruch nehmen sollte, die Deutschen zu vertreten, erklärt Mithu Sanyal im feministischen Zwischenruf.
Alle drei Jahre ist es so weit: Die PISA Ergebnisse werden verkündet und Deutschland muss sich schämen. Das scheint eine Tradition zu werden. Und für Traditions- und Heimatpflege haben wir jetzt sogar ein Ministerium, das seine Arbeit super macht, wenn wir weiterhin die Sitzenbleiber bei PISA sein wollen.
Lassen Sie mich erklären: Das Klassenziel nicht erreicht haben wir vor allem im Bereich Teilhabe. Für Jugendliche ohne deutschen Pass ist das Risiko, keinen Schulabschluss zu erwerben, mehr als doppelt so hoch wie für ihre deutsch-deutschen Mitschüler*innen. Und der Anteil besonders leistungsschwacher Schüler*innen ist unter Kindern mit Migrationshintergrund sogar zweieinhalb Mal so hoch. Dabei sind diese Kinder wohl kaum dümmer als andere.
Vorenthaltene Zugehörigkeit
Sind sie auch nicht, wie der Vergleich mit anderen OECD-Ländern zeigt, da ist die Schere deutlich geringer geöffnet. Natürlich spielt Spracherwerb eine Rolle, aber Deutsch ist auch nicht schwieriger zu lernen als Finnisch. Wenn man all diese Faktoren herausrechnet, bleibt als einer der Hauptgründe für das schlechtere Abschneiden, dass Schüler*innen mit so genanntem Migrationshintergrund sich in Deutschland nicht dazugehörig fühlen, so das Ergebnis der PISA Studie.
Deshalb ist es so vernichtend, wenn der frisch gebackene Heimatminister am ersten Tag seiner Amtszeit mit altbackenen Sätzen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ auftrumpft. Da kann Angela Merkel noch so häufig sagen, dass der Islam aber doch zu Deutschland gehört. Übrig bleibt, dass wir wieder und wieder darüber diskutieren. Als wäre das nicht eine Nullaussage. Was gehört schon zu Deutschland? Einmal abgesehen vom Grundgesetz und der Religionsfreiheit. Die beinhaltet, dass eben auch der Islam in Deutschland erlaubt ist. Ende der Diskussion.
Bedeutet Deutschsein keine Empathie zu haben?
Das hat Horst Seehofer natürlich nicht so gemeint. Was er gemeint hat, ist: „Muslime müssen mit uns leben, nicht neben oder gegen uns.“ Bloß ist das schwierig, wenn sie an jeder Ecke beweisen müssen, dass sie nicht gegen uns sind, während Horst Seehofer angesichts von Brandanschlägen auf Moscheen nicht beweisen muss, dass er mit Muslimen lebt und nicht neben oder gegen sie. Wieviel beeindruckender wäre es, wenn er statt dessen christliche Werte wie Nächstenliebe predigen und sich für Aiman Mazyek einsetzen würde, den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, der gerade Morddrohungen erhält, weil er der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime ist. Und nicht nur er, die gesamte Kölner Geschäftsstelle des ZMD musste wegen Morddrohungen geschlossen werden.
Es ist zynisch, dass diejenigen, die im Moment am meisten von Hassverbrechen bedroht sind, als Bedrohung herabgewürdigt werden. Aber der Islam ist doch gefährlich wegen dem Islamismus und den Scharia Gesetzen, wiederholt jede Kommentarspalte zu jedem Artikel zu Seehofers neuer Catchphrase. Und damit das auch ja klar ist, bebildert die CSU es mit einer Frau mit Burka und dem Text „Für Mehrheit der Deutschen gehört der Islam nicht zu Deutschland 76%“. Als Migrantenkind möchte ich da dringend berichtigen, dass es grammatikalisch immer noch „für die Mehrheit“ heißt. Aber wer schert sich schon um Pronomen, wenn er Statistiken tunen kann? Also startete die AfD Berlin auf Twitter ebenfalls eine Umfrage „Gehört der #Islam zu Deutschland?“ Am 19. März hatten 85 Prozent mit Ja gestimmt und nur 15 Prozent mit Nein. Einen Tag später waren die Ergebnisse gelöscht.
Vor ein paar Jahren versuchte der Journalist Fabian Köhler einmal herauszufinden, wie viele Burka-Trägerinnen es nun tatsächlich in Deutschland gibt. Und siehe da, er fand eine einzige, die eine Vollverschleierung wie auf dem Bild der CSU trug: eine Reporterin der BILD. Bei den anderen vermeintlichen Burkas handelte es sich um einen Niqab, der die Augen freilässt, und auch der ist in Deutschland überaus selten. Ingeborg Baldauf, Professorin für Sprachen und Kulturen Mittelasiens an der Humboldt-Universität zu Berlin, bestätigte Köhler schließlich, dass die Burka außerhalb ihres Ursprungsgebiets nicht vorkomme. Kurzum: Es gibt die Burka in Deutschland gar nicht. Außer auf Propagandaplakaten der CSU/AfD.
Vielleicht wäre es an der Zeit, etwas mehr über die Religion herauszufinden, vor der man so viel Angst hat? Denn natürlich stimmt es, dass etwas, worüber ich nichts weiß, nicht zu mir gehört. Aber das muss ja nicht so bleiben.
Bedeutungsgeschichte Heimat
Ähnlich schwammige Vorstellungen gibt es von dem Begriff Heimat. Die Medienwissenschaftlerin Alena Dausacker erklärt, dass Heimat ursprünglich ein juristischer Begriff war: „Das ‚Heimatrecht‘ verpflichtete die Geburtsgemeinde, jemandem Wohnung und Nahrung zur Verfügung zu stellen, auch wenn die betroffene Person mittellos wurde. Diese Aufgabe wurde irgendwann von der Geburts- auf die Aufenthaltsgemeinde übertragen. Während der industriellen Revolution wurde der Begriff Heimat an Natur gekoppelt, vor allem an die Berge, die mit ihrer Weite und klaren Luft die Antithese zur engen, dampfmaschinenschmutzigen Stadt waren. Heimat wurde hier a) emotionalisiert und b) an eine Verlusterfahrung gekoppelt.“ Gefühlig und ständig bedroht ist das Heimatverständnis von Horst Seehofer ebenfalls. Und das ist subjektiv auch in Ordnung so, da Heimat immer ein individuelles Gefühl und eng an Erinnerungen und Sinneseindrücke gekoppelt ist. Dazu braucht es jedoch einen „konkret erfahrenen Raum“ macht Dausacker klar. „Ein Dorf, einen Straßenzug, eine Landschaft. Keiner nimmt den fucking Nationalstaat als Raum wahr. Das können wir gar nicht.“[1]
Heimat ist immer konkret
Das Bundesministerium für Heimat ist demnach ein Einhornministerium. Das entsprechend auch nur für Einhörner oder Seehofers sprechen und nicht in Anspruch nehmen sollte, die Deutschen zu vertreten. Als wäre für alle Deutschen Migration die Ausnahme, die man kontrollieren und am besten in zentralen Aufnahmestellen sammeln sollte, um sie schneller abschieben zu können, wie Seehofer plant. Sonst integrieren sie sich zu gut in ihre Länder und Kommunen und Deutsch-Deutsche starten Petitionen, um sie hierzubehalten.
Dass Migration die Ausnahme ist, ist langsam auch statistisch nicht mehr haltbar. In Deutschland hat jedes vierte Kind einen Migrationshintergrund. Was immer das heißt, denn die Definitionen von Migrationshintergrund sind schwammig. Ebenso wie die der ausländischen Wurzeln. Newsflash: Wir haben keine Wurzeln, wir sind ja keine Pflanzen und erst recht kein Unkraut. Sehr häufig haben wir allerdings auch im übertragenen Sinn keine Wurzeln, vor allem, wenn uns klar gemacht wird, dass wir nicht zu Deutschland gehören. Laut der Chancenspiegel Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der TU Dortmund und der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist mangelnde Chancengerechtigkeit eines der Hauptprobleme des Schulsystems. Der Grund, warum viele MiMiHi-Kinder es trotzdem schaffen, wird als Resilienz angegeben. Widerstandskraft? Um die Schulzeit zu überstehen?
Dabei können alle Kinder davon profitieren, wenn Schüler*innen mit Migrationshintergrund angemessen unterstützt werden. Wenn ihre Erfahrungen als Ressourcen genutzt und sie nicht nur als diejenigen mit dem fehlenden, weil falschen Wissen wahrgenommen werden. Vielleicht finden wir dann heraus, wie wir uns alle in ein hochherziges, freidenkendes Deutschland integrieren können und was Heimat noch alles bedeutet.